Im politischen Miliz-System wurden zahlreiche Institutionen installiert, welche die gewählten Volksvertreter daran hindern, ihren eigentlichen Auftrag, das Volk zu vertreten, wahrzunehmen.
Kommissionen
Der Einsatz von vorberatenden Kommissionen ermöglicht es der Exekutive, ihren Einfluss auf eine kleinere Gruppe von Parlamentariern zu konzentrieren. In familiärer Atmosphäre lassen sich die Mitglieder leichter überzeugen. Manche meinen, Kommissionen funktionierten nach dem Kollegialitätsprinzip und haben das Gefühl, alle Mitglieder müssten die Meinung der Mehrheit im Rat und in der Fraktion vertreten. In immer mehr Kantonen etabliert sich die Unsitte, ständige Kommissionen einzuberufen und damit alle Geschäfte vorzuberaten. Von der Regierung wird das als Stärkung des Kantonsrats verkauft, in der Tat ist es eine Schwächung.
Angebliche Kosten von Vorstössen
Mehrfach vorgekommen ist es, dass ein Mitglied der Regierung am Ende der Beantwortung eines Vorstosses mit vorwurfsvollem Unterton die angeblichen Kosten, die der Vorstoss verursacht habe, benannt hat. Dabei wird ausgeblendet, dass die grössten Kosten durch die Geschäfte der Exekutive verursacht werden. Auch wird ausgeblendet, dass die Exekutive jedes Jahr mehr Steuergelder in der Verwaltung verpulvert, was die Kosten eines Vorstosses um ein Vielfaches übersteigt. Die Einreichung von Vorstössen ist aber die eigentliche Aufgabe eines Parlamentariers, neben dem Verhindern schlechter Erlasse und dem Schutz der Interessen eigenverantwortlicher Bürger.
Kleidervorschriften
Es soll ungeschriebene Gesetze geben, die vorschreiben, wie man sich zu kleiden habe. Einige erwarten, dass man ununterbrochen eine Krawatte trägt. Dieser alte Zopf hält sich eisern. Selbst Personen, die behaupten, offen und tolerant zu sein, halten daran fest. Neulich wurden drei Ratsmitglieder gesichtet, die sich nach dem Mittagessen bei über 30°C der Krawatte entledigt hatten. Dies hat nun ein Nachspiel. In den Fraktionen soll das thematisiert und die Betroffenen wohl gerügt werden. Offenbar machen alle Fraktionen dieses Spiel mit.
Parteien und Fraktionen
Diese haben eine ähnliche Funktion wie die Kommissionen. In der Regel erhält jede Fraktion mindestens einen Sitz in der Exekutive. Das Regierungsmitglied trägt die Meinung der Regierung in die Fraktion. Obwohl nur mit beratender Stimme ausgestattet, üben sie grossen Einfluss auf die Meinungsbildung aus. Teilweise wird sogar der Wortlaut für Voten vorgegeben, was von den Fraktionsmitgliedern als Arbeitserleichterung wohlwollend angenommen wird. Von den Fraktionen wird erwartet, dass sie das eigene Exekutivmitglied nicht kritisieren, was die Bandbreite möglicher Vorstösse und kritischer Voten kräftig schmälert.
Ratsschreiber und Parlamentsdienste
Es ist schon vorgekommen, dass ein Antrag, welcher der Exekutive nicht passte, vom Ratsschreiber einfach salopp für ungültig erklärt wurde. Solches Vorgehen ist unrechtmässig und stellt eine krasse Kompetenzüberschreitung dar. Der Ratspräsident reagiert in der Regel in solchen Fällen unbeholfen und überfordert und fährt mit der Sitzung fort. Manche erkennen diese Unrechtmässigkeit nicht und fordern sogar, dass alle Vorstösse durch die Parlamentsdienste vorgeprüft werden. Eine solche Prüfung ist in der Tat aber ein Filter, in dem unerwünschte Vorstösse im Keim erstickt werden.
Geschäftsberichte, Jahresrechnungen, Voranschläge
Hier geht es vorwiegend darum, die wertvolle Zeit der Volksvertreter zu verbraten, damit sie wiederum nicht ihrer eigentlichen Aufgabe nachgehen können. Geschäftsberichte und Jahresrechnungen können ohnehin bloss zur Kenntnis genommen werden. Bei Voranschlägen handelt es sich um schwer durchschaubare Zahlenfriedhöfe. Wenn man einmal eine Ungereimtheit vermutet und genauer nachforschen möchte, stösst man auf eine Mauer des Schweigens, selbst als Mitglied der Finanzkommission.
Falsches Rollenverständnis
Viele verstehen die Rolle des Exekutivpolitikers nicht als Verwalter im Auftrag der Bürger, sondern sehen diesen als deren Vorgesetzten statt Untergebenen.
Presse
Reicht man einen Vorstoss ein, erhält man als erstes Anrufe von Journalisten, die dann kritisch über den Vorstoss berichten. Parlamentarier, die nicht auf diese Öffentlichkeit aus sind, überlegen sich darum zweimal, ob sie einen Vorstoss einreichen wollen.
Apéros, Nachsitzungen und Präsidentenfeiern
Letztlich ist es komfortabler, wenn man mit allen gut auskommt. An solchen Anlässen wird die Kollegialität zelebriert. Da erhofft man sich natürlich, dass einem später keiner unangenehme Fragen stellt.
Der Autor sitzt selbst in einem kantonalen Parlament. Dieser Text erschien erstmals am 6. Juni 2021.
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