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Der Primarlehrer, Teil 1

Aktualisiert: 8. Dez. 2022

Der visionäre Pädagoge: Lehrgeschichte "Telefonnummern merken"

Lesezeit: 24min


Ein junger Primarlehrer merkte schon am ersten Schultag, dass seine neue 5. Klasse allgemein sehr schwache Leistungen, vorwiegend im Rechnen zeigte, und Zahlen allgemein nicht mochte. Vielleicht, weil sie bis anhin nur bei Lehrerinnen Schule hatte, die auch eher keinen Spass an Mathematik hatten, genauso wie ihre Mütter, denn eben, wie schon bei Prof. M. Spitzer erwähnt: Früher hiess es ja, Frauen könnten nicht gut rechnen und es sei auch nicht wichtig für sie.

Die meisten Mütter der Kinder waren zudem noch alleinerziehend und mussten die meiste Zeit arbeiten, weil der Erzeuger nicht in der Lage oder unwillig war, Alimente zu bezahlen. Sie hatten verständlicherweise viel weniger Zeit und Energie als andere Mütter für sie, welche den ganzen Tag zu Hause waren und die einfach sagen konnten: «Wenn Du so weitermachst, sage ich es dem Papa! Der wird dann aber sauer sein!»



Ein Teil der Klasse stammte aus Gastarbeiterfamilien mit eher niedrigem Bildungsniveau. Sie wollten, dass es ihre Kinder einmal besser hätten als sie, und weil sie so viel arbeiten mussten, hatten sie genau deshalb, und wegen der Scheidung, ein schlechtes Gewissen und verwöhnten ihre Sprösslinge, soweit sie konnten.

Damals gab es noch keine Handys, jedoch manche Kinder schauten von ganz klein auf übermässig viel Fernsehen, denn den zumeist geschiedenen Eltern war es lieber, dass sie vor dem Fernseher auf ihr Nachhausekommen von der Fabrik warteten, als draussen irgendwelchen Unfug anzustellen.


Viele Kinder waren lustlos, depressiv und man hatte sie, meistens wegen Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen von Heilpädagogen, Ärzten, Psychologen, Schulsozialdiensten etc. abklären lassen, worauf viele schon einen Stempel aufgedrückt bekommen hatten, sozusagen stigmatisiert waren.

Der neue Lehrer wollte, als sie zu ihm kamen, von all den Vorgeschichten erstmal überhaupt nichts wissen, und liess die Ordner voll Diagnosen links liegen.


Es sollte jeder eine neue Chance bekommen, und das sagte er ihnen auch von Anfang an. Jeden einzelnen Tag gab er allen die Hand beim Betreten und beim Verlassen des Schulzimmers, nahm sich für jeden individuell Zeit für einen Spruch, ein paar nette Worte, hielt motivierende Reden, machte mit ihnen zusammen nur wenige, gewisse Grenzen ab, die es keinesfalls zu überschreiten galt und hörte ihnen aufmerksam zu, ohne zu werten.

Natürlich gelang das anfänglich nie.

Doch, auch wenn jemand wieder einen Unfug angestellt hatte oder frech war, schimpfte der Lehrer zur grossen Verwunderung der anderen Schüler nicht, sondern versuchte liebevoll den Schüler an der Hand zu nehmen und ihm zu zeigen, wie es richtig wäre.

Die Wetten


Da die Schüler Zahlen nicht mochten, stellte er schon in der zweiten Woche die Behauptung auf, dass innerhalb von zwei Monaten jeder einzelne von ihnen jede einzelne Telefonnummer der anderen auswendig wisse.

Manche behaupteten, das gehe gar nicht, das könne niemand, andere wehrten sich fast hysterisch, sie könnten sich überhaupt nichts merken, sie hätten Legasthenie, Dyskalkulie und viele weitere Gebrechen. Doch schon nach ein paar Tagen waren alle restlos vom Gegenteil überzeugt.

Memo-Technik


Als Erstes musste die Bereitschaft, das Experiment auszuprobieren, erzeugt werden.

Das ging zum Beispiel durch Wetten. Der Lehrer sagte den Schülern, sie könnten ohne Probleme mit jedem, der das nicht glaubte, Wetten abschliessen. Natürlich nicht um grosse Dinge, sondern zum Beispiel um einen Radiergummi, eine Sammelkarte mit Fussballspielern, ein Modellauto, oder auch um zu erledigende Aufgaben. Jedoch müssten natürlich die Schüler dafür sein, dass sie es schafften, und die anderen dagegen.

Dadurch erzeugte er eine Vorbereitung der Neuronen im Gehirn, eine Vorfreude, jetzt dann bald etwas Neues zu lernen und dann dafür mit Anerkennung, aber auch mit dem Wetteinsatz belohnt zu werden.


Nachdem jeder gewettet hatte, wurden die Zahlen von 0 – 9 auf grosse Plakate gemalt und im Schulzimmer der Reihe nach verteilt. An die Wandtafel wurde die Null gehängt. Die Weltkarte war nun die Eins, die Türe die Zwei, das Lavabo die Drei, das Skelett die Vier, der Wandschrank die Fünf, usw.

Zuerst lernten alle auswendig, welche Zahlen zu welchem Gegenstand gehörten.

O, das konnte man sich merken, weil sie normalerweise leer war, wenn sie geputzt war, die Wandtafel. Da stand nichts, also null. Die Weltkarte war die Eins, weil die ganze Erde darauf war, die es nur einmal gibt. Die Türe konnten man auf und zu machen, daher die Zwei, beim Lavabo war die Drei, was mit Hahn aufdrehen, Wassertrinken und abstellen, also drei Tätigkeiten verknüpft wurde. Das Skelett hatte 4 Extremitäten, der Wandschrank fünf Türen, danach hatte es im Uhrzeigersinn 6 Fenster zum Öffnen, 7 Pflanzen darunter, 8=unendlich viel Wissen im Computer des Lehrers, ein neuziger Jahre Poster an der Wand.

Es dauerte keine fünf Minuten, dann konnten alle auch ohne die Zahlen an den Dingen sagen, was für welche Zahl stand. Das waren immerhin schon 10 Zahlen, die sie sich alle gemerkt hatten, und zwar ohne Probleme.

Am Nachmittag wurden diese Zahlen repetiert und wieder aufgehängt. Nun wurde gemeinsam noch eine Bewegung, eine Grimasse oder ein Gefühl zur Zahl und dem Gegenstand herausgefunden. Zur Wandtafel sagte einer, der gesagt hatte, er habe Dyskalkulie, mit einer verzweifelten Theatralik: „Immer, wenn Frau L. Rechnungen an die Wandtafel schrieb, kapierte ich nichts, null, nada!“ Alle lachten fröhlich, doch der Lehrer fand grosses Lob: „Sehr gut, genau so etwas brauchen wir!”, und gleich danach liess er alle diesen Satz aufschreiben und in der gleichen Theatralik wiederholen. Bei der eins kam der abstruse Vorschlag: „Auf der Erde wohnen oben lustige Einsbären, und da ist es so k...k.k...kalt...“ Die Runde lachte sich halb schief, und der Lehrer fand, das sei mit Abstand eine der lustigsten Eselsbrücken, die er je gehört hätte, und gleich repetierte man das im Verband erneut, schrieb den Satz in die Hefte...

Weiter Eselsbrücken waren:

„Wer vergisst, die Türe abzuschliessen, macht «Zweite», weil dann 2 böööösese Räuber kommen, und alles klauen.“

«Hahn auf, drei grosse Schlucke nehmen: Glugg, glugg, glugg, ahhhhhh, Hahn zu.»

«Oskar, das Skelett, klappert, wenn er Angst hat, mit allen 4 Gliedern wie ein Klapperstorch *händeklappern und zittern*»

Und weiter ging es, etwa eine halbe Stunde lang, bis alle lustigen Sätze und Bewegungen, Grimassen, Gefühle dazu erfunden, notiert und auswendiggelernt wurden. Kurz vor dem Schlussgong wurden die Sätze noch einmal memoriert und repetiert. Erneut ein Heidenspass.


Die Reisegeschichten

Nun schrieb jeder seinen Namen und seine Telefonnummer an eine Seitenwandtafel.

Die Vorwahl +41 und (0)71 hatten sowieso alle die gleichen.

Also galt es noch die anderen 7 Zahlen zu merken, und das 27 mal.

Jeder dachte sich für seine Nummer eine Geschichte aus, und wenn ihm keine einfiel, halfen die Nachbarn oder der Lehrer.

Beispiel Angela, die Erste auf der Liste, hatte die Nummer

255 64 02


Ihre Geschichte lautete so:

Kaum betrat sie den Raum, den jemand vergessen hatte abzuschliessen, sah sie die 2 böööösen Räuber.

Sie versteckte sich ganz leise in der 5. Türe des Wandschranks und wartete 5 Minuten voller Angst.

Dann konnte sie nicht mehr warten, und sprang durch das 6. Fenster ins Freie.

Direkt nach ihr sprangt Oskar, das Skelett, hinterher und klapperte mit allen 4 Gliedern. Sie fragte ihn, ob es hier irgendwo eine Leiter habe, damit sie wieder ins Schulhaus könnte, doch der sagte: Nichts, null nada. Hier ist es leer wie auf der Wandtafel.»

«Also dann müssen Wir wieder zur Türe rein, durch die die bööööösen Räuber, Türe auf, Türe zu, wieder geflohen sind.»


Und so kriegte jeder der Schüler seine eigene Geschichte, welche absichtlich mit viel Gesten und Körpergefühl erzählt wurde, damit man sie sich beim Nachmachen über möglichst viele Sinne im ganzen Körper spürte.

An an jedem Tag wurden 5 neue Geschichten gelernt, nacherzählt/gespielt. 3X am Tag repetiert. Langweilig wurde es auch beim Nacherzählen nicht, immer machte noch jemand etwas noch Lustigeres dazu, die Laune war toll, und die Schüler waren baff erstaunt und erfreut, was für Leistungen sie ohne grosse Anstregungen erbringen konnten. Nach zwei Wochen konnte jeder, auch jeder schon als handicapiert abgestempelte Schüler alle Telefonnummern der ganzen Klasse, und jeder gewann die Wette, die er abgeschlossen hatte.


Idee dahinter

  1. Der Lehrer hatte mit den Wetten ganze einfach eine Bereitschaft erzeugt, was das Gehirn lernbereit macht.

  2. Dadurch entstand das Wollen, der Willen, das Ziel zu erreichen.

  3. Da es sehr lustig war, war niemand ängstlich oder abgeneigt den Zahlen gegenüber, sondern sie bekamen eine Qualität, die in möglichst vielen verschiedenen Gehirn- und Körperregionen abgespeichert wurde. Es wurde eine emotionale Bindung zu Zahlen erzeugt, möglichst viele Verknüpfungen in zu anderen Gehirnregionen geschaffen. Durch die gespielten Emotionen wurden verschiedene Gefühle mit den Zahlen verknüpft, zusätzlich zu den Gegenständen, welche im visuellen, bildlichen Bereich gespeichert wurden und zusätzlich zur räumlichen Lage im Schulzimmer, welche im Raumsinn Halt fanden. Die etwas erweiterten Storys zu den Gegenständen verknüpften alles Bisherige zusammen und zudem noch aktivierten sie das auditive, erneut das kinästhetische, haptische Gedächtnis und das Sprachzentrum. Die Reisegeschichten schliesslich wurden als einfacher Weg von einem Gegenstand zum anderen im Raum gespeichert. Dadurch, dass durch alle Schritte eine beinahe reale Illusion erzeugt wurde, die mit fast allen Sinnen wahrnehmbar war, konnte auch jemand mit einer Schwäche im einen Bereich die Zahl aus einem anderen Gebiet herleiten.

  4. Insgesamt stieg damit auch das Interesse für Zahlen, denn die vielen tollen Erlebnisse in den Geschichten erzeugten Glücksgefühle, das Lob ebenfalls und das Erreichen des Ziels natürlich am meisten. Durch die Verknüpfungen in andere Gebiete versuchte der Lehrer später dann, für jeden die geeignete Verknüpfung herauszufinden. Bei Dyskalkulie war es übrigens recht einfach: Die diagnostizierten Kinder hatten kein Gefühl für Mengen, darum beschloss er, sie eine Weile lang nicht abstrakt, sondern eben mit Klötzchen rechnen zu lassen, die sie berühren konnten. Alle drei in der Gruppe. Sie stellten sich gegenseitig Schätzfragen, machten einfache Multiplikationen, Additionen vor allem mit ihrer Haptik, mit ihren Händen, um es zu begreifen. Auch mit geschlossenen Augen. Die schon emotional verknüpften Zahlen halfen enorm dabei, sie von ihrem indoktrinierten Irrglauben abzubringen, sie könnten nicht rechnen.

  5. Sobald das klappte, repetierten sie das kleine Einmaleins mit einem witzigen Computerprogramm und battelten sich eifrig gegenseitig. Wenn der Lehrer oder sie selbst merkten, dass sie wieder ins alte Denken zurückfielen und kein abstraktes Bild der Zahlen in ihren Köpfen entstand, wurden die Verknüpfungen erneuert, mit den Händen gerechnet.

  6. Anschliessend wurden noch alle drei heimlich positiv durch eine einfache Berührung an der Schulter verankert. Jedes Mal, wenn sie einen positiven Gedanken hatten, oder lachten, was sie bei einem Spiel nicht durften, aber deshalb immer mussten, mussten sie sich gegenseitig ganz kurz 3x auf die linke Schulter tippen. Nach ein paar Tagen erklärte ihnen der Lehrer, dass immer, wenn sie in Panik gerieten, oder unnötig glaubten, etwas mit Zahlen nicht zu können, zu versagen, müssten sie sich nur 3x kurz auf die linke Schulter tippen. Während der Rechenprüfungen sah man manchmal die drei dann auf einmal tippen und lachen, was ihnen sofort die Angst nahm und einen klaren Kopf bescherte.

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